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Klassische Sorten – Was sind das eigentlich?

Von mir aus nennt das Kind auch „alte Sorten“ oder „geerbte Sorten“, wir sind uns glaube ich alle einig, daß diese Sorten Kulturgut sind. Doch was ist das eigentlich genau?

Definitionen gibt es viele, Kriterien auch und sie variieren von Region zu Region. In den USA ist das eine Heirloom variety, was bereits vor 1951 angebaut wurde, zu dieser Zeit wurden dort flächendeckend Neuzüchtungen und Hybridsorten [1] eingeführt. Eine Theorie besagt, daß man das Ende des 2. Weltkrieges als Stichtag nehmen sollte, denn die Forschung nach 1945 beschäftigte sich damit möglichst viele Menschen mit wenig Saatgut schnell satt zu bekommen.

Saatgut ist Kulturgut.

Der 30. Juni 1980 ist ein Stichtag, an dem viele Sorten verschwanden. Per Dekret wurden durch die EU-Kommision 1547 Gemüsesorten gelöscht. Eigentlich sollten nur Duplikate nach Brüssel gemeldet werden, um etwas mehr Übersicht im Sortenkatalog zu erlangen. Das waren aber nur ca. 38 % der gelöschten Sorten, der Rest waren nicht für den kommerziellen Anbau geeignete traditionelle Sorten. So verschwanden z.B. 89% aller Tomatensorten und 86 % aller Gurken- und Melonensorten.

Vielfalt statt Einfalt [2]
Vielfalt statt Einfalt

Für Menschen in Bewegung sind alte Sorten die Sorten, die sie aus ihrer Heimat kennen. So nahmen beispielsweise die Amish den Salat „Hirschzunge“ mit in die Neue Welt und er kam irgendwann als „Amish Deer Tongue“ zurück nach Europa. Den Russlanddeutschen verdanken wir die Tomate „Schwarzer Prinz“. Diese Liste ließe sich weiterführen. Teilweise brachten sie auch Gemüse mit, das bei uns irgendwann zwischen 1914 und 1945 zusammen mit dem Wissen um seinen Anbau verschwunden ist. Alte Sorten tragen oft den Namen der Region, aus der sie stammen im Namen. Beispiele sind der Grünkohl „Ostfriesische Palme“, die Rote Bete „Tonda di Chioggia“ (italienischen Stadt Chioggia in Venetien). Historische Sorten sind samenfest, das bedeutet man kann sie beliebig weiter vermehren und das Ergebnis sieht der Ursprungspflanze ziemlich ähnlich. [1 [3], 2 [4]]

Nach dem wir das nun geklärt haben, was klassische Sorten sind, ergibt sich nächste Frage woher man das Saatgut dafür erhält.

Woher bekomme ich das Saatgut?

Da sind zu erst mal die Vereine die sich mit dem Erhalt dieser Sorten beschäftigen. In Deutschland sind das in erster Linie Der VEN [5] (Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt), und für die Region Berlin Brandenburg der VERN [6] (Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen). In Österreich ist es die Arche Noah [7] und in der Schweiz Pro Specia Rara [8]. In diesen Vereinen kann jeder Mitglied werden und als Sorten-Erhalter oder Sorten-Pate tätig werden. Ein privater Tausch von Saatgut ist zwar möglich aus der Schweiz stehen dem allerdings geltender Zoll-Regularien entgegen.

Einige Saatgutfirmen, die entweder aus den Vereinen entstanden sind oder enge Verbindungen zu ihnen haben. Das wären Dreschflegel [9], Reinsaat [10] und Sativa [11]. Firmen die Saatgut in Deutschland vertreiben und Reinsaat und Sativa im Angebot haben. In Deutschland sind da der Biogartenversand [12] und das Samenhaus Müller [13] (Samen Maier und Sativa sind die Suchbegriffe) zu nennen. Einzelne Firmen haben sich auf klassische Sorten spezialisiert und es als ihre Nische in diesem umkämpften Markt ansehen, z.B. Thomas Etty [14]. Einige Sorten gibt es auch bei den herkömmlichen

Anbietern oder Handelsmarken der großen Ketten, so ist die Erbse „Kelvedon Wonder“ die 1938 auf den Markt gebracht wurde immer noch relativ gut zu bekommen. Einige Anbieter haben inzwischen eigene Reihen mit klassischen Sorten, in Deutschland sind da die Firma Dehner mit ihrer Marke „Dehner Historisches Samen [15]“ oder Toom mit der Marke „Historisches Saargut [16]“ wenige Sorten aber immerhin ein Anfang und die Möglichkeit das Saatgut unter die Leute zu bringen.

Warum sollten wir diese Sorten weiter anbauen und verzehren?

In allen Monokulturen treten nach einigen Jahren Probleme auf (z.B. Pilze, Schädlinge, Nähstoffmangel/ausgelaugte Böden), die dazu führen können das man neue resistentere Sorten braucht. Es wäre schade, wenn die klassischen Sorten hier nicht mehr als Ressource zur Verfügung stehen würden (Beispiele sind: Bananen und der Pilz TR4 [17] oder Weizen und Schwarzrost [18]).  Bei Wildpflanzen und Tieren ist der Begriff Biodiversität ein bekanntes Schlagwort. Aber auch der Erhalt der genetischen Vielfalt bei Kulturpflanzen trägt zur Biodiversität bei und ihr Verschwinden würde die Vielfalt erheblich einschränken.

Hybridsorten bedeuten, daß Kleinbauern und Gemüsegärtner ihr Saatgut jedes Jahr neu kaufen müssen. Klassische Sorten dagegen können selbst vermehrt werden bzw man behält von der Ernte das zurück was im kommenden Jahr angebaut werden soll. Gerade für Kleinbauern und Gemüsegärtner kann dies ein Erhalt von Selbständigkeit und Unabhängigkeit bedeuten. Siehe hierzu auch bei Aktion Brot in Not [19]. Bei der Zucht und dem Anbau vieler neuer Sorten stehen Aussehen, zeitgleiche Reife und maschinelle Be- und Verarbeitung als Kriterien im Vordergrund. Der Geschmack ist nachrangig.

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Salat „Forellenschluss“

Allergien können zu einem Problem werden. So sind einige moderne („industrielle“) Apfelsorten als allergie [21]auslösend bekannt. So weiterhin wird vermutet, daß die zunehmenden Probleme mit Getreide unter der Bevölkerung auch etwas mit den Züchtungen der letzten Jahrzehnte zu tun haben könnten. Saatgut ist Kulturgut – Es ist ein Bestandteil unserer Kultur und wir wollen nicht auf unsere klassischen Speisen verzichten… Nur weil wir Deutschen keinen Sprossenbrokkoli [22] kennen, muss er nicht verschwinden. Nur weil in Österreich Grünkohl fast unbekannt ist, muss Grünkohl mit Pinkel nicht verschwinden. Den Kölner Dom reißt ja auch keiner ab.

Gemüse aus unseren Landen schmeckt manchmal besser und anders. Jeder, der mal eine Frühkartoffel aus Ägypten probiert hat und mit Lagerkartoffeln der gleichen Sorte aus Deutschland vergleicht kann das bestätigen. Die Briten machen aus Slogans we „buy British“, „proudly grown in Kent“ einen Kult, warum machen wir das nicht?

zum Weiterlesen

Referenzen

[1] Bärbel Steinberger und Katrin Schumann-Turowski; Alte Gemüse – neuer Geschmack [26]; BLV Buchverlag, 1. Auflage, 2012
[2] Ute Klaphake und Ursula Reinhard; Gemüseschätze. selbst anbauen und genießen [27]; Franckh Kosmos Verlag, 1. Auflage, 2015